Türkei:
Der türkische Nationalstaat ist im wahrsten Sinne des Wortes auf einem Knochenberg erbaut worden.
Hervorgegangen aus dem Genozid 1915 primär an der armenischen Bevölkerung, war die Türkei bei ihrer Gründung 1923 bereits als "ethnisch gesäubertes" Gebiet gedacht - ein Ziel, welches die diversen türkischen Regimes gleich welcher Ausrichtung bis heute verfolgen.
So von Beginn an ein durch und durch rassistisches und nationalistisches Gebilde, ist es kein Wunder, dass dieser Staat immer wieder in Phasen von offenem Faschismus fällt - egal, ob das Militärdiktaturen, Pogrome oder auch genozidale Verbrechen vor allem gegen die kurdische Bevölkerung sind.
Die ganze Geschichte der Verbrechen dieses Staates muss erst noch geschrieben werden.
E rdoğan:
Hat sich von einem angeblichen "Hoffnungsträger" - der er nur für naive Gemüter sein konnte - über einen Autokraten zu einem fast voll ausgewachsenen klassischen Diktator des Typs 20. Jahrhundert entwickelt.
Eine üble Mischung aus dem alten (kemalistischen) Nationalismus, Islamismus, Neoliberalismus sowie zunehmend auch antikurdischem Rassismus bildet den ideologischen Hintergrund für ein Projekt, welches als
"Neoosmanismus" eine Wiederauflage türkischer Großmacht,
ja Weltmachtträume als zentralen Kern hat.
Es ist nicht übertrieben, das Ganze als spezifisch türkischen Faschismus zu bezeichnen - mit einer einzigen Führerfigur.
Rojava:
Bedeutet im kurdischen einfach "Westen", und bezeichnet die primär kurdisch besiedelten Gebiete in Syrien.
Seit 2012, mitten in den syrischen Kriegswirren, versucht hier die kurdische Freiheitsbewegung eine weltweit einzigartige Umsetzung ihrer Idee des Demokratischen Konförderalismus
- mit den Säulen:
Selbstverwaltung aller ethnischen / religiösen Gruppen,
Frauenbefreiung (im Mittleren Osten die Provokation überhaupt!),
Ökologie
und, wenn notwendig, Selbstverteidigung.
Kein Wunder, dass diese Entwicklung ein Dorn im Auge aller etablierten Mächte darstellt.
R epression:
Interessiert uns vor allem im Zusammenhang des deutschen Vorgehens gegen die kurdische Freiheitsbewegung, hierzulande immer noch und fälschlich als "gegen die PKK gerichtet" betrachtet.
Seit dem offiziellen Verbot der PKK 1993 ist der deutsche Staat an der Seite der unterschiedlichen türkischen Regimes immer eine Kriegspartei gewesen. Und die Bundesregierung versucht, diese Tatsache dadurch zu verschleiern, dass die immer wieder genozidale Züge annehmende antikurdische Politik der Türkei als "notwendige und legitime
Selbstverteidigung" gegen "Terrorismus" bezeichnet und nicht zuletzt durch deutsche Rüstungsgüter unterstützt wird.
Tatsache ist, dass diese Behauptungen und die damit begründete Politik schon vor 20 Jahren nicht haltbar und ein Mittäterschaft an den türkischen Verbrechen waren.
Oecalan:
Abdullah Öcalan gilt als entscheidender Mitbegründer der PKK, sitzt seit 1999 in
türkischer Haft - und ist maßgeblich für den Wandel der PKK von einer klassisch
marxistisch-leninistischen Kaderpartei zu einer Bewegung verantwortlich, die sich in
Richtung eines freiheitlichen Sozialismus orientiert.
Seine Haftbedingungen -Isolationshaft praktisch ohne Aussenkontakte, worunter auch Anwälte fallen - sind genauso skandalös und kriminell wie das gesamte Vorgehen der Türkei gegen faktisch jeden Versuch einer Repräsentanz der kurdischen Bevölkerung - siehe auch den Umgang mit der HDP.
Eine Partei übrigens, die ohne die Ideen Öcalans ebenfalls nicht denkbar wäre.
Revolution:
Sind sie nun eher "Lokomotiven" (Karl Marx) oder "Notbremsen" (Walter Benjamin) der Geschichte?
In Anbetracht der Situation auf diesem Planeten müssen wir eher vom Letzteren ausgehen. Und im Gegensatz zum herkömmlichen Verständnis - Regierungssturz, Barrikaden, Strassenkampf - ist die Arbeit, die in einer echten Revolution steckt, fast unsichtbar, langfristig und wenig spektakulär: die tiefe Veränderung des Fühlens, Denkens und Handelns aller Beteiligten.
In diesem Sinne gab es bisher nur sehr "unfertige" Revolutionen - das kurdische Rojava-Projekt könnte das erste Beispiel der genannten echten Art werden.
Islamischer Staat:
Die arabische (und abfällige) Bezeichnung Daesh erscheint passender. Ursprünglich eine extremere Abspaltung von Al Qaida in der Region, hat Daesh sehr schnell die Rolle des Weltfeindes Nr.1 übernommen - und zwar nicht unberechtigt. Unterschlagen wird jedoch, dass diese Rolle nicht ohne die Unterstützung von Staaten wie der Türkei, Qatar und Saudi-Arabien entstehen konnte.
Was zu interessanten Betrachtungen über die behauptete "Anti-Terror"-Politik der westlichen Länder, aber auch Russlands, einlädt - die Türkei ist nachweislich und belegbar bis heute einer der logistischen und finanziellen Hauptförderer nicht nur von Daesh, sondern faktisch aller islamistischen Terrorbanden in der Region.
Und die deutsche Bundesregierung sieht die Türkei bis heute als "notwendigen Partner" nicht nur im "Anti-Terror-Krieg" an. Dazu NATO-Land und immer noch EU-Kandidat.
Wer ist hier eigentlich Terrorist?
Staat:
Wird oftmals (zu Unrecht) mit der jeweiligen Gesellschaft gleichgesetzt.
Staaten haben die unangenehme Eigenschaft, sich immer wieder gegen große Teile der "eigenen" Bevölkerungen zu richten und zeigen nicht zuletzt dadurch ihre Neigung, als Apparat /Werkzeug ein antisoziales Eigenleben zu entwickeln.
Auch die Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten ist immer wieder ein Anlaß für die größten menschlichen Katastrophen - Kriege.
Staaten lassen sich vielleicht als ein Zwischenstadium in der menschlichen Geschichte betrachten, und sind weder Ausdruck eines Naturgesetzes, noch zwangsläufig.
Das heißt: sie sind endlich.
Terrorismus:
Im eigentlichen Sinne ein Synonym für Schreckensherrschaft. Und der Wortteil Herrschaft dabei ist der entscheidende.
Dazu ein Statement von einem, der diesen Zusammenhang aufgrund seiner Position vermutlich besser kennen konnte als andere: "Ich habe den Verdacht, dass sich alle Terrorismen, egal, ob die deutsche RAF, die italienischen Brigate Rosse, die Franzosen, Iren, Spanier oder Araber, in ihrer Menschenverachtung wenig nehmen. Sie werden übertroffen von bestimmten Formen von Staatsterrorismus. [...] Belassen wir es dabei. Aber ich meine wirklich, was ich sage.” Helmut Schmidt (1918-2015), deutscher Politiker (SPD)
Quelle: Helmut Schmidt im Interview mit Giovanni di Lorenzo
“Ich bin in Schuld verstrickt” | DIE ZEIT | 30. August 2007 | Nr. 36